Lapidarium
Leinstraße 4
31582 Nienburg
Telefon: (0 50 21) 9 16 58 06
Sitzecke im unteren Teil des Lapidariums© Museum Nienburg/Weser
Die als begehbares Lapidarium eingerichtete Sammlung von behauenen Sandsteinen darf in Norddeutschland als einmalig gelten. In der Kaiserpfalz Goslar ist ebenfalls ein Lapidarium präsentiert worden, dessen Stücke sich alle auf den Bau selbst beziehen. Die Nienburger Steine stammen aus dem gesamten Mittelweserraum und sind in ersten Teilen bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts vom damaligen Hausbesitzer Emanuel Bruno Quaet-Faslem zusammengetragen worden. Wir gehen davon aus, dass er sie sowohl als Zierde für seinen Hausgarten wie aber auch als Vorlagenobjekte für Zeichenübungen seiner Baugewerkschüler genommen hat. Dazu gehören zum Beispiel Taufbecken und Säulen.
Die übrigen Stücke sind nach und nach zusammengetragen worden. Die Sandsteine stammen alle aus Mittel- oder Südniedersachsen und sind einst als wertvolle Fracht über die Weser in die Stadt Nienburg und die Umgebung gekommen. Wer mit offenen Augen die Baustoffe älterer Häuser betrachtet, wird leicht erkennen, dass das Material Sandstein in den Orten entlang des Flusses relativ häufig verwendet wurde. So ist erklärbar, dass im heutigen Museum ein so reichhaltiges Lapidarium aufgebaut werden konnte. Der Sandstein ist erheblich leichter zu bearbeiten als die im gesamten norddeutschen Raum auffindbaren skandinavischen Findlinge, die durch die Eiszeiten dem Raum „geschenkt" wurden. Die im Zuge magmatischer, beziehungsweise vulkanischer Entwicklung entstandenen Granite und Gneise sind von Steinmetzen zumindest im Mittelweserraum nicht behauen worden.
Der Begriff Lapidarium gehört nicht zur Alltagssprache. So kam es zu zahlreichen Verständnisfragen. Der Begriff kommt vom Lateinischen „lapidarius": zu den Steinen gehörig, Stein. Das dazugehörige Adjektiv „lapidar" bedeutet knapp, kurz und bündig. Die Verwendung geht vom gedrängten, knappen Stil altrömischer Steininschriften aus. Das ist einleuchtend: Im Gegensatz zum Schreiber von Archivalien konnte der Steinmetz nur recht wenig Text und Verzierung auf den Steinen unterbringen. Der Auftraggeber musste sich kurz und knapp, jedoch treffend, ausdrücken.
Nutzung der behauenen Steine
Anders als heute hatte Baumaterial, gleich welcher Art, in früheren Jahrhunderten einen erheblich höheren wirtschaftlichen Wert, wobei dies bereits für das 19. Jahrhundert und davor zu gelten hat. Man hatte nicht die technischen Hilfsmittel für die Produktion und auch nicht die guten Transportbedingungen wie heute. Wann immer es nur ging, wurde aus Abbruchmaterial neues Baumaterial gewonnen. Der Sandstein war für unsere Region ein geschätztes Material. Es hob sich in seiner ganzen Beschaffenheit, wie etwa der Größe, der Bearbeitbarkeit und der Farbe vom Ziegelstein ab. Letzterer wurde in Ortsnähe selbst hergestellt. Sandstein diente dem Prestige.
So setzte man ihn zum Beispiel als Baumaterial für ganze Wände, Wandöffnungen, wie Türen und Fenster, und im Fundament bei öffentlichen und privaten Gebäuden ein. Dazu kommt die Gebäudezierde, speziell im Giebelbereich. Als tatsächlich krönender Abschluss wurde oft ein Wappenstein gesetzt. Hier gibt es sehr gute Beispiele aus der Zeit der Weserrenaissance im gesamten Mittelweserraum. Im Brücken- und Straßenbau wurde ebenfalls Sandstein eingesetzt.
Aufgrund der guten Formbarkeit konnten auch Hohlkörper, wie Taufbecken und Taufsteine, wie auch beispielsweise Wasserbecken, Mörser und Futtertröge aus Steinblöcken herausgearbeitet werden. Neben diesem eher praktischen Nutzen sticht jedoch viel deutlicher der Wunsch nach Zierrat oder (sich) ein Denkmal zu setzen ins Auge. Das Nienburger Lapidarium zeichnet sich durch eine überraschende Vielfalt nach allen Seiten hin aus.
Herkunft der Steine
Alle Steine sind niedersächsischen Ursprungs und in den Sandsteinbrüchen des Mittelgebirges im Wesergebiet abgebaut worden. Die Weser gab den Transportweg vor. So sind keine Steine etwa aus dem Raum Bad Bentheim oder den Baumbergen erkannt worden. Der Landweg wäre viel zu mühselig gewesen. Der Schifffahrtsweg über die Nordsee wäre wenig sinnvoll gewesen, weil die Weser natürlicherseits nach Norden fließt.
Die Steine stammen ganz überwiegend aus den Bückebergen, speziell aus Obernkirchener Brüchen. Wir gehen davon aus, dass sie nach kurzer Landüberquerung in Rinteln verschifft wurden. Hier gibt es jedoch noch Forschungslücken. Weitere Steinbrüche, bis in aktuelle Zeit hinein, sind in Porta, Rehburg, Münchehagen sowie aus dem südlichen Niedersachsen nachweisbar. Ganz bewusst wurde auch ein sogenannter Buntsandstein (Futtertrog) mit ins Lapidarium genommen, um einen Vergleich zu den übrigen hellen Sandsteinen zu haben. Die Weser war stets ein bedeutsamer Transportweg für Sandstein; bekannt auch als sogenannter Bremer Stein, der aus der Hansestadt bis nach Übersee verfrachtet wurde. Erst kürzlich konnte dafür ein Beleg in Form der beiden untergegangenen Weserlastkähne von Rohrsen/Landkreis Nienburg gefunden werden. Seit dem 18. Jahrhundert lagen sie auf dem Flussgrund, beladen mit Sandsteinrohlingen, die nach aufwändiger Bergung im Bereich des Weserrenaissance-Schlosses Brake bei Lemgo der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Dieser Plan musste jedoch kürzlich aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt werden. Das Museum Nienburg/Weser wäre interessiert daran, die Schiffe zu präsentieren...
Bearbeitung der Sandsteine
Große Wissenslücken gibt es bisher noch im Bereich der handwerklichen und künstlerischen Bearbeitung der Sandsteinrohlinge. Es ist davon auszugehen, dass diese vom Auftraggeber bei den Steinbrüchen bestellt wurden, um anschließend vor Ort bearbeitet zu werden. Die Steinmetzbetriebe werden Vorlageblätter gehabt haben, um zum Beispiel Stilelemente der Romanik, Gotik, des Barock und des Klassizismus umsetzen zu können. Möglich ist jedoch ebenfalls, dass die bürgerlichen oder herrschaftlichen Auftraggeber mit Zeichenblättern in die Werkstatt kamen, beziehungsweise den Meister zu sich bestellten, um die entsprechenden Erläuterungen zu geben. Die Nienburger Archivalien haben bisher hier kein Wissen preisgeben können. Steinmetzbetriebe hat es stets gegeben, um zum Beispiel die vielen Wünsche aus dem sakralen und profanen Bereich lösen zu können. Heute sind Grabsteine aus Sandstein eher die Seltenheit geworden, oftmals wird jedoch ein bereits genutzter nach der Überarbeitung neu auf den Friedhof gesetzt.
Insgesamt ist festzustellen, dass mit jedem im Nienburger Lapidarium vorhandenen Stein ein bedeutsames Zeitdokument mit großem territorialgeschichtlichen und familienkundlichen Inhalt gegeben ist. Jeder Sandstein kann eine Geschichte erzählen, wozu andere Quellen noch ergänzend hinzukommen sollten. Oftmals fehlen diese jedoch. Der kaum vergängliche Stein ist manchmal das letzte Relikt eines historischen Ereignisses. Die guten Erhaltungsbedingungen der Materialgruppe „Stein" sind für das Museum ein glücklicher Umstand. Fast immer reichte eine Säuberung und gelegentliche Ergänzung der Steine in einer Restaurierungswerkstatt aus, um das Objekt in einen vorzeigewürdigen Zustand zu bekommen. Eine Ergänzung wurde jedoch nur dort vorgesehen, wo es unbedingt notwendig wurde, zum Beispiel beim Aufbau des Weserrenaissance-Erkers im Ostteil des Lapidariums.
Die relativ große und inhaltlich breite Nienburger Steinsammlung kann eindeutig der Lokal- und Regionalgeschichte des Mittelweserraums zugeordnet werden. Mit diesem Sammelschwerpunkt zeichnet sich das Museum auch gegenüber anderen eindeutig aus. Zeitlicher Schwerpunkt ist das 16.-19. Jahrhundert; ein Großteil der ehemals steintragenden Gebäude ist bereits verschwunden. Die Steine belegen jedoch auch Territorialgeschichte, Adelskultur wie auch Wirtschaftsgeschichte (z.B. Bau der Glasarbeitersiedlung am Ende des 19. Jahrhunderts). Dazu kommen das Handwerk, die Schul-, Kirchen- sowie die Verkehrsgeschichte. Schon von der Anzahl her sind die Grabplatten-Denkmale als Teil der Sepulkralkultur besonders vertreten.
Im Lapidarium stehen die Steine thematisch sortiert regensicher unter dem Sheddach eines modernen Ausstellungsbaus. Die fehlenden Seitenwände lassen den Blick von außen zu und machen dieses Stück im Museum gut begehbar. Das Ingenieurbüro für Bauwesen Meyer & Borcherding zeichnet für den Bau verantwortlich.
Das Lapidarium ist unter einem Sheddach im östlichen Teil des Museumsgarten untergebracht© Museum Nienburg/Weser